News des Tages: EM 2024, »Wolfsgruß«, Joe Biden, Großbritannien, Tony Blair (2024)

1. Debatte über »Wolfsgruß«

Dass die Türkei gestern Abend beim EM-Achtelfinale gewonnen hat, habe ich an den hupenden Autos gemerkt, die bei uns in der Nähe vorbeirauschten (hier die Bilder aus Berlin und Hamburg).

Ich hege ja eine gewisse Liebe für Autokorsos, denn der Grund dafür ist meistens ein positiver: Entweder hat jemand geheiratet oder gewonnen. Bei der WM 2006 in Deutschland gab es in meiner Heimatstadt fast immer was zu feiern: Mal gewannen die Deutschen, mal die Türken, mal die Italiener oder die Polen. Im Anschluss waren jedes Mal die Straßen voll. Inzwischen wohne ich in einem Viertel, in dem die Fußballsiege nicht mehr ganz so lautstark gefeiert werden – womöglich auch, weil hier nicht mehr so viele Leute ein Auto besitzen.

Leider wird heute aber vor allem über den Torjubel des türkischen Nationalspielers Merih Demiral debattiert. Der hatte gestern nach seinem zweiten Treffer mit beiden Händen das Symbol der »Grauen Wölfe« geformt. Als »Graue Wölfe« werden die Anhänger der rechtsextremistischen »Ülkücü-Bewegung« bezeichnet, die in Deutschland vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Demiral hat nun erklärt, es habe mit seiner »türkischen Identität zu tun«, wie er gefeiert habe. Die Europäische Fußball-Union Uefa sieht das nicht ganz so harmlos und hat ein Untersuchungsverfahren gegen ihn eingeleitet, er könnte im nächsten Spiel gesperrt werden. Mein Kollege Peter Ahrens hat einen Kommentar über die ganze Angelegenheit geschrieben. »Die Uefa hat klare Richtlinien, die politische Kundgebungen bei einem Fußballspiel untersagt«, schreibt er. Das könne man richtig oder falsch finden. Aber deshalb müsse Demiral bestraft werden. »Sonst macht sich die Uefa unglaubwürdig.«

• Lesen Sie hier mehr: Fußballer sind jetzt offen politisch – auch wenn es uns manchmal nicht passt

2. Gibt Joe Biden doch auf?

Fast eine Woche ist die TV-Debatte zwischen US-Präsident Joe Biden und Kandidat Donald Trump schon her – doch die Diskussionen über Bidens desaströsen Auftritt reißen nicht ab. Und nun kommt laut US-Medienberichten womöglich größere Bewegung in die Sache. Die »New York Times« und CNN zitieren jeweils einen Vertrauten des Präsidenten, Biden selbst ziehe inzwischen einen Rückzug in Erwägung. Das Weiße Haus dementiert.

Direkt nach der TV-Debatte sah es noch so aus, als hielten die Demokraten fest zusammen, der Präsident haben eben einen schlechten Tag gehabt. Dann wurde das Argument lauter, man könne Biden nicht einfach ersetzen, selbst wenn man wollte. Langsam mehren sich aber die Stimmen derer, die sich vom Präsidenten absetzen und ihn kritisieren, schreibt meine Kollegin Muriel Kalisch. Auch lautstarke Unterstützer wie die altgediente Demokratin Nancy Pelosi lassen Zweifel erkennen. Bei einem Fernsehauftritt sagte sie, es sei eine »legitime Frage«, ob Bidens Verfassung eine Ausnahme gewesen sei – oder »ein Zustand«. Später beeilte sich ein Sprecher zu sagen, dass Pelosi »volles Vertrauen« in den Präsidenten habe. Die »New York Times« berichtete von mehreren Quellen, denen zufolge die Alterserscheinungen des Präsidenten zuletzt merklich zugenommen hätten. So habe er häufiger verwirrt oder lustlos gewirkt und in Gesprächen immer wieder den Faden verloren.

Biden selbst sprach zunächst von akuter Müdigkeit, er sei auf der Bühne fast eingeschlafen. War’s das für den Präsidenten?

• Lesen Sie hier mehr: Joe Biden denkt offenbar über Kandidaturverzicht nach

3. Großbritannien vor der Wahl

In Großbritannien geht der amtierende Premierminister Rishi Sunak heute wahrscheinlich nicht mit der besten Laune zu Bett. Denn wie es aussieht, muss er bald aus der Downing Street 10 in London, seinem Amts- und Wohnsitz, ausziehen. Mit seiner konservativen Partei, den Tories, liegt er bei 20 Prozent, Labour bei 40. Morgen wird gewählt. Dank des britischen Wahlsystems, bei dem es pro Wahlkreis nur einen Sieger gibt, könnte Labour 400 oder gar 500 der 650 Sitze im Unterhaus gewinnen.

Mein Kollege Steffen Lüdke verfolgt als Großbritannien-Korrespondent den Wahlkampf, über Sunak schreibt er den schönen Satz: »Er führt einen so grauenvollen Wahlkampf, dass man sich fragt, ob ihn sein eigenes Team sabotiert.« Zuletzt versuchte der Premier unter anderem öffentlichkeitswirksam Schafe zu füttern – was daran scheiterte, dass die Tiere vor ihm davonrannten. Am Dienstag musste Boris Johnson bei einem Auftritt in London die eigenen Leute anfeuern, ausgerechnet der Mann also, den Sunak einst aus dem Amt drängte, weil er einfach nicht mehr tragbar war.

Von Sunaks Pannenwahlkampf profitiert sein Kontrahent, der 61-jährige Keir Starmer. Der möchte Labour nach 14 Jahren Opposition zurück an die Macht führen. Nachdem der Sozialist Jeremy Corbyn vor einigen Jahren einen Teil der Wählerschaft elektrisierte, aber noch viel mehr Leute vergraulte, hat Starmer den Parteilinken den Krieg erklärt und die Partei in die Mitte gerückt. Im Wahlkampf gab er sich betont vorsichtig. Das Motto: Bloß nichts tun, was die Wähler verschrecken könnte. »Für den Wahlsieg dürfte es reichen«, sagt Steffen. »Die Frage ist aber, wie lange die Taktik danach noch trägt. Starmer braucht dann recht schnell eine neue Erzählung.«

• Lesen Sie hier die ganze Geschichte: Blair Witch Project

Was heute sonst noch wichtig ist

• Lufthansa darf italienische Staatsairline Ita übernehmen: Nach jahrelangem Ringen um die Übernahme der italienischen Fluglinie Ita ist Lufthansa endlich am Ziel. Die EU-Kommission macht den Weg für den Einstieg bei der Staatsairline frei.

• Polizei sucht mit bisher unbekannten Fotos nach Ex-RAF-Terroristen Ernst-Volker Staub: Für die Polizei ist er ein Phantom, nun haben die Ermittler neue Fotos des RAF-Rentners Ernst-Volker Staub veröffentlicht. Sie setzen auch auf ein sogenanntes Aging-Bild. Es soll den 69-Jährigen zeigen, wie er heute aussehen könnte.

• Scholz hält an Juli-Zeitplan für Haushaltsdeal fest: Der Haushaltsstreit gilt als entscheidende Belastungsprobe für die Ampelkoalition. Im Bundestag gibt sich Kanzler Olaf Scholz optimistisch. Eine Einigung soll es in Kürze geben.

• Mehrere Festnahmen wegen Kriegsverbrechen in Syrien: Die Polizei hat am Morgen vier Palästinenser und einen Syrer festgenommen. Sie sollen im Auftrag des Assad-Regimes schlimmste Kriegsverbrechen verübt haben. Der Generalbundesanwalt ermittelt.

Meine Lieblingsgeschichte heute

In den ersten Bundesländern haben die Ferien schon angefangen. Da stellen sich viele Eltern zwei Fragen. Erstens: Wie genau soll ich sechs Wochen schulfrei stemmen? Zweitens: Wenn ich freihabe, wie beschäftige ich die Kids den ganzen Tag? Auf die zweite Frage hat meine Kollegin Hellen Gramkow von »Dein SPIEGEL« ein paar Antworten, fünf, um genau zu sein. Sie gibt Tipps für den Sommer, etwa eine Monster-Pizza backen oder Konfetti selbst machen.

• Lesen Sie hier die ganze Geschichte: Gute-Laune-Programm für die Ferien

Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen

• Frankreichs Rechte wollen Deutschland den Strom abklemmen – was das bedeutet: Der Chef des rechtsextremen Rassemblement National will Frankreich vom europäischen Stromnetz abkoppeln. Ist das rechtlich möglich? Und was wären die Folgen für Deutschland?

• Plötzlich redet Gysi Klartext – und fordert eine neue Linkenspitze: Die Linke ist eine Partei, die vielleicht keine Zukunft mehr hat. Zwei Altvordere sprechen der Führung nun ihr Misstrauen aus. Ein Berliner Abend mit Dietmar Bartsch und Gregor Gysi.

• Ohne Oma und Opa geht nichts: In Schweden können Großeltern jetzt eine Art Elterngeld für die Betreuung der Enkel bekommen. In Deutschland bezahlt der Staat die Care-Arbeit nicht. Oft drohen sogar Abschläge bei der Rente.

• Was Einsteins Gehirn und Napoleons Penis gemeinsam haben: Ein Pathologe stahl Einsteins Gehirn, ein Priester trennte Galileos Mittelfinger ab, und Che Guevaras Hände reisten um die Welt: Körperteile verstorbener Persönlichkeiten faszinieren Sammler. Aber wie groß war denn nun Napoleons Penis?

Früher war nicht alles besser: »Warum bist du so dick?«, wollte Gastgeberin Joan Rivers 1985 in ihrer Show von Oprah Winfrey, 70, wissen, erinnert sich Winfrey heute. Eigentlich hätte es bei dem Auftritt um ihren Erfolg als Moderatorin gehen sollen – und nicht um ihr Körpergewicht. Damals habe sie akzeptiert, so behandelt zu werden, so Winfrey. Sie habe nicht gewusst, wie sie reagieren sollte. Also habe sie Rivers versprochen, die Pfunde zu verlieren; stattdessen habe sie sich dann aber »noch mal 10 Pfund draufgegessen«.

Mini-Hohlspiegel

Hier finden Sie den ganzen Hohlspiegel.

Cartoon des Tages

Und heute Abend?

Wenn ich mitkriege, dass ein toller Film anläuft, dauert es meistens ein bisschen, bis ich es wirklich ins Kino schaffe. Das Problem: Viele Filme laufen nur ein paar Wochen, bevor sie entweder in unmögliche Randzeiten gedrängt oder ganz aus dem Programm genommen werden. Oft muss ich dann darauf warten, bis ich den Film bei irgendeinem Streaminganbieter leihen kann. Bei »Alles steht Kopf 2« ist das offenbar nicht so. Er ist Mitte Juni angelaufen und seitdem irre erfolgreich. Am Wochenende verkündete Disney, der Film habe bereits mehr als eine Milliarde Dollar eingespielt, als erster Film überhaupt im Jahre 2024.

Die animierte Abenteuergeschichte spielt wieder im Kopf von Riley und macht aus ihren Gefühlen Figuren, mit denen man mitfiebert: Joy, Kummer, Angst, Wut und Ekel. Allerdings ist Riley inzwischen 13 Jahre alt. Deshalb leuchtet eines Nachts eine Alarmanzeige mit der Aufschrift »Pubertät« auf, es stehen neue Gefühle auf der Matte: Peinlich, Null Bock, Neid und vor allem Zweifel. Mein Kollege Oliver Kaever ist ganz begeistert von dem, was er gesehen hat, für ihn ist »Alles steht Kopf 2« ein mitreißendes Plädoyer gegen viel zu frühen Leistungsdruck. Klingt nach einem Kinderfilm, der auch bei Erwachsenen die Stimmung hebt.

Einen schönen Abend. Herzlich

Ihre Laura Backes, Autorin